Chronischer Stress - Wie schlimm ist er & wie kann man damit umgehen?

19.10.2022

Chronischer Stress ist ein anhaltendes Gefühl von Stress, welches sich psychisch oder physisch äußert. Aber wann wird Stress zu viel? Wie können wir das erkennen und was können wir dagegen tun?

Isabella Fornell: Likeminded Psychologin & Autorin

Inhalt

Was ist chronischer Stress?

Chronischer Stress ist ein anhaltendes Gefühl von Stress, welches sich psychisch oder physisch äußert. Er kann durch interne (z.B. Gefühle oder Erwartungen) oder externe Stressoren (z.B. finanzielle Probleme, Lärm oder großer Druck am Arbeitsplatz) ausgelöst werden und unsere mentale Gesundheit einschränken, solange er nicht behandelt wird.

Um das verständlicher zu machen, lass es mich so erklären: Ich habe vor kurzem angefangen als Psychologin in Berlin zu arbeiten. Am Morgen vor meiner ersten Beratung habe ich bemerkt, dass ich mit den Zähnen knirsche, schwitze und etwas zittrig bin. Ich habe beobachtet, wie mein Herz klopfte, was ich sonst nie tue, und hatte ein starkes Verlangen danach, irgendetwas zu tun. Schnell habe ich realisiert, dass ich in Erwartung meiner ersten Beratung eine akute Stressreaktion hatte.

Was ich erlebt habe, wird auch die Kampf-oder-Flucht-Reaktion genannt. Diese ist eine vollkommen gesunde und normale Reaktion unserer Körper auf stressige Ereignisse. Angesichts von Bedrohungen und Herausforderungen schüttet unser Körper Cortisol und Noradrenalin in unseren Blutkreislauf aus. Diese beiden sind als „Stresshormone“ bekannt und haben die Aufgabe, uns einen Energieschub und Wachsamkeit zu geben, um Hindernisse zu überwinden.

Stresskurve

Zu wenig Stress = niedrige Motivation und wenig Engagement

Mäßiger Stress = herausgefordert und engagiert

Zu viel Stress = überfordert und beeinträchtigte

Stress in moderatem Ausmaß ist gesund und notwendig!


Zu viel Stress hingegen kann unsere Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Das gilt nicht nur für kurzfristige Reaktionen wie die, die ich vor meiner ersten Beratung hatte, sondern auch für lange Phasen, in denen ich mich unter Druck gesetzt und überfordert fühle. Wenn unsere Kampf-oder-Flucht-Reaktion konstant getriggert ist und unser Körper ohne Unterbrechung Cortisol und Noradrenalin ausgesetzt ist, sprechen wir nicht mehr von einer akuten Stressreaktion, sondern von einem Zustand chronischen Stresses.

Was verursacht chronischen Stress?

Es gibt nicht nur eine einzige Ursache für chronischen Stress. Einige Umweltfaktoren, die zu diesem Zustand beitragen, können variieren von

  • überfüllten Städten und Stau
  • über unbefriedigende Jobs
  • bis ständige schlechte Nachrichten in den sozialen Medien oder den Nachrichten

Wie wir über diese Umweltfaktoren denken, hat einen großen Einfluss auf unsere Stressreaktion. Wenn wir diese Ereignisse als negativ, bedrohlich, unkontrollierbar und schlecht erleben, lösen sie unsere Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus und tragen zu chronischem Stress bei.

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Was sind die Symptome von chronischem Stress?

Häufige Symptome von chronischem Stress sind:

  • Müdigkeit
  • Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten
  • Gefühl von Überforderung
  • Ungeordnetes Denken
  • Schlafprobleme
  • Gefühl von Hilflosigkeit
  • Reizbarkeit
  • Zynismus
  • Nervosität
  • Schmerzen und Beschwerden

Wenn chronischer Stress über einen längeren Zeitraum anhält, kann er unsere mentale und psychische Gesundheit gefährden. Er könnte z.B. das Fundament für Depressionen, Angststörungen und chronische Schmerzen darstellen. Außerdem kann chronischer Stress das Immunsystem schwächen und uns anfälliger für Krankheiten machen.

Die ständige Belastung durch Cortisol und Noradrenalin wirkt sich auf das Magen-Darm-System aus, indem es den Darmtrakt austrocknet, was zu einem Reizdarmsyndrom führen kann. Und nicht zuletzt ist chronischer Stress ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ich bin gestresst! Was nun? – Wie chronischer Stress behandelt werden kann

Zum Glück gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. Es gibt Möglichkeiten, Stress zu bewältigen, zu verhindern, dass er chronisch wird, und sich von ihm zu erholen.  

Wahrnehmung – Es geht nicht darum, den Stress loszuwerden. Wie wir bereits gesagt haben, ist Stress eine normale Reaktion, die uns dabei hilft, unser Bestes zu geben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit dem Stress anfreunden und ihn in unserem Leben willkommen heißen.

Wie? Wir können damit beginnen, uns zu fragen: Nehme ich diese Ereignisse als Herausforderung oder Bedrohung wahr? Ereignisse als Herausforderungen anzusehen kann uns dabei helfen, uns weniger ängstlich, entspannter und zuversichtlicher zu fühlen.

„Mein Studium war sehr wettbewerbsintensiv. Manchmal fiel es mir schwer, mitzuhalten, und ich ertappte mich dabei, wie ich mich mit Kommiliton:innen verglich. Später verstand ich, dass der Wettbewerb gegen mich selbst und nicht gegen andere gerichtet war. Ich beschloss, meinen Erfolg daran zu messen, wer ich geworden war, und meine Herausforderung bestand darin, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Ich hatte die Kontrolle über diese Herausforderung, und es wurde schnell einfacher für mich, meinen Erfolg zu sehen.“

Soziale Bindung – Forscher*innen der Max-Plank-Instituts in Deutschland fanden heraus, dass Oxytocin, auch bekannt als „Kuschelhormon“, uns helfen kann, uns schneller von stressigen Ereignissen zu erholen. Eine der besten Möglichkeiten, die Oxytocin-Produktion anzuregen, besteht darin, auf Menschen zuzugehen, die wir lieben und die sich um uns sorgen. Auch Verhaltensweisen, die anderen zugutekommen, wie z. B. Teilen, Kooperieren, Freiwilligenarbeit und Helfen, können diesen Zweck erfüllen.

Setz deine Grenzen - Wenn wir zu viel Stress haben, ist es wichtig, dass wir uns Grenzen setzen. Möglicherweise verbringen wir unsere Zeit mit Dingen, die für uns nicht wertvoll sind. Möglicherweise verschwenden wir unsere Energie für irrelevante Aufgaben. Wenn du dir nicht ganz sicher bist, wo deine Grenzen liegen, nimm dir etwas Zeit, die folgenden Fragen zu beantworten. Sie könnten dir einen Hinweis geben!

Wie verbringe ich meine Zeit?

Was ist mir am allerwichtigsten? Verbringe ich genügend Zeit damit, diese Dinge zu tun?

Übe ich Aktivitäten aus, die mit meinen Werten und Prioritäten übereinstimmen?

Was hilft mir aufgrund früherer Erfahrungen, neue Energie zu tanken, bevor ich mich wieder der Welt stelle?

Schlaf und Ruhe – Achte auf deine Schlafmuster. Laut einer Umfrage der American Psychological Association (APA) von 2019 geben 47% der Erwachsenen an, dass sie aufgrund von Stress wach im Bett liegen. Um deinen Schlaf zu verbessern, versuche, eine Schlafroutine zu entwickeln, die dir selbst guttut. Beginne damit, eine Stunde vor dem Schlafgehen abzuschalten, Vermeide in dieser Zeit stimulierende Bildschirmzeit, mache Entstpannungsübungen, nimm ein beruhigendes Bad oder höre entspannende Musik oder einen Podcast. Damit signalisierst du dem Körper, dass die Schlafenszeit naht.

Wenn du dich in einem Zustand chronischen Stresses befindest, solltest du wissen, dass du nicht allein bist. Die Erholung von diesem Zustand hängt von vielen Dingen ab, unter anderem von persönlichen Faktoren und der Lebensweise. Manchmal brauchen wir vielleicht ein wenig zusätzliche Hilfe, um uns wirklich zu erholen. Wenn das der Fall ist, dann zögere nicht, dich an einen Coach, eine:n Psycholog:in oder eine:n Therapeut:in zu wenden. Es könnte der perfekte Zeitpunkt sein, um an sich selbst zu arbeiten!

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